Schülerinnen und Schüler aus Intensivklassen präsentieren ein Theaterstück im Kindergarten Kipalo
Kurz vor den Zeugnissen am Ende eines langen Schuljahres ist oft die Luft raus. Draußen ist es heiß, die Noten sind eingetragen, die Konferenzen abgehalten – alle freuen sich auf sechs Wochen stressfreie Entspannung.
Anders an der CBES: Schülerinnen und Schüler einer Intensivklasse – das sind Klassen in denen Kinder und Jugendliche aus vielen unterschiedlichen Ländern Deutsch lernen – machten sich auf den Weg den Kindergarten Kipalo in Lollar zu besuchen. Ihre Mission ein selbsteingeübtes Märchen Schneewittchen als Theaterstückaufzuführen.
Die theaterpädagogische Arbeit gehört seit diesem Jahr zum Sprachlern- und Integrationsprogramm in den insgesamt fünf Intensivklassen der CBES. Kulturelle Bildung steht hier mit zwei Stunden in der Woche im Vordergrund – und scheinbar nicht Grammatik- und Vokabellernen. Nach einem Jahr Erfahrung mit dem Programm Kulturelle Bildung, mehreren Probetagen und Theater-Aufführungen an der CBES sind sich die in der Intensivklasse eingesetzten Lehrerinnen Dr. Gabriela Marques-Schäfer und Lucia Kartal aber sicher, die theaterpädagogische Arbeit im Unterricht für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) besitzt viele Vorteile. Vor allem entwickeln sich auf diese Weise spielerisch kommunikative und soziale Kompetenzen der Lernenden in besonders schneller Weise. Die engagierten Schülerinnen und Schüler, die unter anderem aus Ländern wie der Ukraine, der Türkei, Afghanistan, Bulgarien und Somalia stammen und zwischen 11 und 13 Jahre alt sind, profitierten von den weiteren Sprechanlässen außerhalb der Schule. „Auf der Bühne kann sich niemand verstecken – hier kommen alle zum Zuge“ betont die aus Brasilien stammende promovierte Germanistin Marques-Schäfer. „Integration funktioniert bei der Verfolgung eines gemeinsamen Projekts schneller.“, hebt die Klassenlehrerin Lucia Kartal hervor. Und die Schülerinnen und Schüler erspielen sich sehr viel Selbstbewusstsein, was sich wiederum in einem gesteigerten Lernerfolg niederschlägt.
Im Verlauf des Jahres arbeiteten die Schülerinnen und Schüler im Unterricht intensiv mit deutscher Literatur und lasen ausgewählte Märchen. Sie kamen dadurch in Kontakt mit der deutschen Kultur und konnten interkulturelle Vergleiche zu literarischen Texten aus ihren Heimatländern ziehen.
Die Inszenierung von zwei klassischen deutschen Märchen (Froschkönig und Schneewittchen) förderte nicht nur das handlungsorientierte und kooperative Lernen, sondern auch die Entwicklung neuer Lernstrategien. Auch die Verknüpfung vom im Unterricht Gelernten mit positiven Emotionen führten dazu, dass sich schüchterne Lernende trauten, Sprechängste zu überwinden, Theaterrollen zu spielen und Verantwortung zu übernehmen. Im Kunstunterricht bastelten die Lernenden die benötigten Requisiten für die Aufführungen selbst.
Frau Marques-Schäfer hebt den sozialen Mehrwert des Besuchs im Kindergarten hervor, denn vielen der Lernenden fehlt aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten ein Teil ihrer Kindheit. Viele der Schülerinnen und Schüler der DaZ-Intensivklassen haben selbst nie einen Kindergarten besucht. Bei vielen kam das Recht, Kind zu sein, sehr kurz und aus diesem Grund wird im Rahmen dieser Initiative ein spielerischer Ansatz verwendet, damit die Lernenden Sicherheit bei der Anwendung der deutschen Sprache im Alltag gewinnen, stolz auf ihre Lernfortschritte sind und sich bewusstwerden, was sie bereits können.
Die positive Überraschung bei diesem ersten Besuch im Kipalo war, dass die Kindergartenkinder spontan den Wunsch äußerten, mit den Schülerinnen und Schülern das zuvor aufgeführte Märchen selbst zu spielen. Die Lehrkräfte improvisierten und die Kinder durften sich ihre Lieblingsrollen aus dem Märchen aussuchen. Dadurch entstanden Paare zwischen Schülerinnen und Schülern und den Kindergartenkindern. Die „Theater-Profis“ von der CBES halfen den Kindergartenkindern mit der Inszenierung und zeigten ihnen, was sie tun und sagen sollten. Auf einmal waren die DaZ-Lernenden die Experten eines deutschsprachigen literarischen Textes, den sie mit viel Mühe für das Projekt auswendig gelernt hatten. Ihr Stolz auf ihre Leistung und ihren Status war mit den Händen zu greifen.
Mit dem Besuch des Kindergartens beendeten die Lehrerinnen das erste Arbeitsjahr mit deutscher Literatur im DaZ-Bereich. Ihr Wunsch für das nächste Schuljahr ist die Gründung eines Projekts, dessen Ziel es ist, den Kontakt zwischen Schule und weiteren sozialen Einrichtungen zu pflegen und den Kontakt zwischen zugewanderten und einheimischen Kindern zu fördern. Außerdem soll den Schülerinnen und Schülern auf diese Weise neue Räume eröffnet werden, in denen sie Deutsch spielerisch üben können.